Inside out: Die Kunst und ich

Künstlerisch tätig zu sein, heißt etwas selbst zu schaffen. Das Gehirn gerät dabei oft in einen Zustand des sogenannten Flows, wodurch rasend schnell Verknüpfungen angelegt werden und man sich einfach zufrieden fühlt. Anlässlich des letzten Poetry-Slam-Abend im Cap Torgau vom 13.03.2015 will ich – mein Name ist Jonas Rülke und ich bin in der 12. Klasse – mich erneut mit dem Thema auseinandersetzen. Dazu möchte ich zuerst Michael Grunow interviewen. Dieser ist mittlerweile 20 und besuchte einst unsere Schule. Außerdem schreibt er wie ich Gedichte und hat damit nach über 100 Werken und sogar gewonnenen Preisen auch viel Erfahrung auf dem Gebiet. Da er ein guter Freund von mir ist, weiß ich, dass für ihn hinter dem Dichten und Slammen auch noch viel mehr steht. Darum soll es also gehen. Wir wollen erneut in die Materie der Lyrik eindringen und ausgehend davon sogar zu allgemeinen Grundsätzen kommen, deren Relevanz ich in unserem Leben unbestreitbar sehe.

Michael, sag uns bitte, wie du zum Dichten beziehungsweise dem Slammen gekommen bist. Wie ging das los?
Richard Carius (ebenfalls ehemaliger Schüler dieser Schule) hatte sogar schon im Unterricht geslammt und sich auch in Filmen mit derartigen Texten auseinandergesetzt. Das hat mich zunächst fasziniert und später dann auch motiviert, selbst aktiv zu werden. Infolgedessen habe ich dann vor allem auf Youtube einige Slams angeschaut. Außerdem hatte ich schon immer was für Dichtkunst und Sprachgewandheit übrig. Insofern ist MC Goethe der tighteste G.

Welche Motivation steckt für dich hinter dem Schreiben und was möchtest du damit erreichen?
Gesprochene und gedachte Sprache ist ziemlich vergänglich (um mal dieses geflügelte Wort zu verwenden). Wir leben in einer Kultur der Schrift, wenngleich das in Folge von elektronischen Medien immer mehr in Auflösung begriffen ist. Schrift sorgt dafür, dass Wissen zwischen weit auseinanderliegenden Generationen übertragbar wird. So viel zu einer Theorie der menschlichen Wissensevolution. Ich habe begonnen zu schreiben, weil Geschriebenes wesentlich kompakter ist; weil es durchdachter ist; und weil ich damit ziemlich formloses Gedankenwirrwarr in einen dauerhafteren Zustand bringen konnte. Es hilft mir noch heute, hin und wieder mal in alte Texte reinzulesen.

Wenn man anderen Menschen seine Werke vorträgt, erzielt das eineWirkung. Wie schätzt du diese ein und ändert sich durch den Prozessdes Vortragens auch etwas bei dir?
Serdar Somuncu hat einmal sehr schön den Unterschied zwischen Irritation und Provokation klargemacht: Wer irritiert, der tut Dinge, die andere nicht sofort verstehen, die also nicht in alltagsübliche Handlungsmuster passen. Wer provoziert, der trifft mit seinen Praktiken einen wunden Punkt beim Gegenüber.
Ich kenne – wie jeder andere – die meisten Menschen in meinem Umfeld nur sehr oberflächlich. Ich kenne also ihre wunden Punkte nur sehr selten. Demzufolge bleibt mir nichts anderes als die Irritation. Das klappt dafür schon ganz gut und reicht, soweit ich das einschätzen kann, meistens schon aus, um ein paar Leute zum Denken zu bringen. Provokation funktioniert mit Sicherheit auch hin und wieder. In solchen Momenten beginnen Menschen entweder mich massiv zu verachten oder aber massiv über ihre eigenen Lebenslage nachzudenken.

Kannst du bitte etwas zu deinem eigenen Dichtstil sagen? Außerdem interessiert es mich, ob du über etwas oder in einer Weise gar nicht schreiben kannst und was dir besonders leicht fällt.
Mit Dichtung im Sinne von Reimen hab ich erstmal sehr wenig am „Hut“ (das ist ein sehr altmodisches Cap). Das mach ich nur, wenn die Texte auf nen Beat gepresst werden sollen, weil ansonsten die ganzen degenerierten Kids sich nichts davon merken können und meine eigenen degenerierten Rap-Skills noch auffälliger sind.
Was ich mache, ist das Aufschreiben, was mir in den Sinn kommt. Entweder also Eigentherapie (sowas les‘ ich nur sehr selten öffentlich vor) oder die pure Propaganda. Mein Schreibstil ist also eine noch stärker intellektualisierte Variation meines Sprachsstils (einfach die Wörter nacheinander übersetzen lassen, dann versteht man den Satz schon). Vielleicht fällt auch dezent auf, dass vor allem Ironie mein Stilmittel Nummer Eins ist.
Ansonsten kann ich vor allem keinen Small Talk, da geht echt nur „big talk“. Ich will immer etwas loswerden, bei dem ich den Eindruck habe, dass es viel zu wenige wissen. 100% (emotionale) Offenheit schaff‘ ich auch nicht, weil ich mich dann zu verletzlich fühle. Das ist gegenüber Leuten, die man den ganzen Abend lang unterschwellig beleidigt, nicht die beste Idee.

Viele würden deinen Lebensstil als außergewöhnlich bezeichnen, was auch immer das heißen mag. Würdest du für uns bitte einen Zusammenhang davon mit deinem Dichten herstellen.
Ich „dichte“ nur, um Facetten meines Lebensstils nach Außen zu tragen und vielleicht ab und zu verständlich zu machen. Insofern sind meine Texte eine Mischung aus verinnerlichten Wissensbruchstücken und moralischen Überzeugungen. Sowas (wie Moral) heute öffentlich zu äußern, grenzt meistens an Peinlichkeit und wird nicht gern gesehen. Deswegen verpack‘ ich es in „Kunst“, damit die Leute dafür bezahlen und dadurch den Eindruck haben, sie würden „unterhalten“ werden. Im Klartext ist das nutzerfinanzierte Gehirnwäsche; also auch nichts anderes als Tagesschau (die müsst ihr übrigens gucken, um in GRW 15 Punkte zu bekommen).
Weil ich sehr oft von meinem Leben irritiert bin, sind auch meine Texte pure Irritation. Ich liebe das.

Zum Abschluss würde ich gern hören, wie du das Dichten im Verhältnis zu anderen schaffenden Künsten siehst. Zusätzlich ist ein persönliches Schlusswort von dir hier ausdrücklich erwünscht!
Ich habe wenig Ahnung von dem, was als „Kunst“ bezeichnet wird. Trotzdem hab ich dieses Fach mit 1,7 in der 10. Klasse abgewählt. Das ist doch bezeichnend. Naja, Beethoven ist nice. Ansonsten gibt es in fast jedem Kunstbereich irgendetwas, was mich beeindruckt. Als „Künstler“ muss man aber immer extravagant und absolut sein, deswegen behaupte ich in diesem Interview weltexklusiv, dass Sprache die EINZIGE Kunstform ist. Gesellschaft muss sich Sprache unterordnen. Jedwede nonverbale Kommunikation muss verboten werden. Wider dem Zwinkern!
Texten kann helfen sich in einer fremden Welt zurechtzufinden. Für mich ist es oft ein innerer Halt.
Mein persönlicher Schlussappell: Mit Schweigen erreicht man in der Schule nichts. Wenn man spricht, trifft man den wahrhaft wunden Punkt der allermeisten Lehrer. Mein Traum war es immer einen Aufstand zu provozieren.
… Ich bedanke mich noch einmal sehr für die Gelegenheit, mit dir zu sprechen.
Am Ende wird noch ein Text jeweils von Michael und von mir zu finden sein, um auch ein konkretes Exemplar zu veröffentlichen.

Zur Auflockerung möchte ich hier noch ein paar Bilder anfügen, um einmal die Freude zu verdeutlichen, die wir beim Poetry Slam Abend hatten. Bilder sprechen mehr als tausend Worte. In diesem Sinne gibt es hier die Impressionen.

Alle Teilnehmer Poetry Slam

Hier sind mal alle Teilnehmer versammelt.

Michi Poetry Slam

Michael Grunow beim Slammen in Höchstform.

anderer Michael Poetry Slam

Michael Georg legte sich statt nur als Moderator auch mal selbst als Vortragender ins Zeug.

 

Im Anschluss möchte ich mich noch persönlich zum Thema des Platzes der Kunst und dem für mich damit verbundenen Individualismus äußern. Denn es ist mir wichtig, dass ihr aus diesem Artikel etwas für euer eigenes Leben mitnehmt. Gerade weil ich die Schule bald verlasse, will ich euch diese Worte noch auf den Weg mitgeben, um dem einen oder anderen auf seinem Weg zu helfen.
Meiner Meinung nach ist nämlich jeder ein Künstler, der etwas aus sich heraus schafft. Es bedeutet, einen Teil seines eigenen Ichs in die Außenwelt zu tragen und gleichzeitig an der Resonanz, die man so von anderen erhält, zu wachsen.
Meine Lieblingsband Set your Goals formulierte in einem ihrer Songs („like you to me“):“Communicate your thoughts, when it’s your own mind.“, was so viel bedeutet, wie:“Sprich deine Gedanken aus, wenn sie deine eigenen sind.“ Das finde ich so unglaublich wichtig, weil es absolut für die Beteiligung am eigenen Leben spricht. Wirkliches Lernen findet erst abseits vom Nachlaufen und Nachplappern statt und genau das verkörpert für mich das Dichten, also auch die anderen Künste. Und gerade bei mir mit meinem sehr offenen Stil fühlt es sich dann oft an, als würde ich in mein Herz greifen, wenn ich bestimmte Zeilen vortrage. Das kann für den Moment schmerzhaft sein, besonders, wenn man davor Angst hat, auf lange Sicht habe ich damit jedoch schon einige meiner inneren Konflikte befriedet. Außerdem ist so ein Verhalten auch im Sinne einer kantschen Mündigkeit zu begreifen. Denn natürlich reflektiert man sein eigenes Ich während eines Schaffensprozesses immer und kommt so gleichzeitig oft zu neuen Einsichten. Teilt man diese auch noch mit anderen, ist die Potenzialentfaltung eigentlich schon komplett.
Wichtig ist nur, sich nie unterkriegen zu lassen, damit man auf diese Weise auch stets weiterkommt. Also falls ihr für eine Sache begeistert seid, dann geht ihr nach. Zum Schaffen müsst ihr auch auf keinen Fall dichten. Ja, jede selbstständige Tätigkeit führt für mich zu einem Schaffensprozess, worin in meinen Augen dann immer Kreativität und irgendwie auch Kunst steckt.

Und lasst bitte die Schule möglichst wenig zwischen euren Künsten stehen. Eigentlich sollte sie diese ja in demokratischen Zeiten, in denen Pluralismus und Individualismus gefördert werden müssten, sowieso unterstützen. Sucht euch am besten die Hilfe, die euch weiterbringt und tretet dabei auch mal an Lehrer heran. Abgesehen davon, dass das ihren Beruf ausmachen sollte, bereitet es jedem Menschen seiner Natur nach Freude, andere zu unterstützen. Geht freundlich und ehrlich auf jeden zu und das wird auf euch zurückkommen.
Ich bedanke mich auch für die Aufmerksamkeit eines jeden Lesers und wünsche ihm noch eine tolle Zeit und viel Spaß mit den nachfolgenden Gedichten.

 

„GFK“ (Michael Grunow)

Ich mach dir Vorwürfe,
weil du meinst mich verurteilen zu müssen,
wegen meiner „gutgemeinten“ Kritik.
Was wir beide hören sind Angriffe,
böswillige Angriffe auf unsere Persönlichkeit.
Wir beurteilen einander,
weil das ganz menschlich ist, zu beurteilen,
aber wieso müssen wir uns das gegenseitig ins Gesicht schleudern?
Ist das auch „menschlich“?
Wie definieren wir diese „Menschlichkeit“?
Das, was sowieso immer schon alle gemacht haben,
oder das, was unsere Anlagen zur Entfaltung bringt,
uns also wachsen lässt ohne anderen zu schaden?
Wir werden nicht wachsen,
wenn wir mit unserer alltäglichen Kommunikation,
einander Vorwürfe machen, verurteilen, kritisieren und bewerten.
Diese anerzogenen Sprachfehler sind nur Fassade; ein Schleier über uns.
Stattdessen haben wir alle grundlegende Bedürfnisse:
Vertrauen, Zuneigung, Sicherheit, Entwicklung, Souveränität und viele weitere,
kurz: Bindung und Wachstum.
Wenn sich diese Bedürfnisse erfüllen oder eben nicht,
dann „fühlen“ wir uns auf eine bestimmte Weise.
Wir fühlen uns:
traurig, glücklich, zornig, besorgt, ausgeglichen und noch ganz anders.
Doch entscheidend ist:
Das sind unsere Gefühle und unsere Bedürfnisse.
Sie können zwar in Verbindung mit anderen Menschen stehen,
doch wir allein sind verantwortlich für sie.
Niemand ist schuld an meinem Hass,
ich fühle mich hasserfüllt, weil meine Bedürfnisse nicht erfüllt sind.
Deshalb komme ich nicht weiter,
wenn ich meinen Hass auf einen anderen Menschen abwälze oder konzentriere.
Er ist nicht schuld; es gibt keinen Schuldigen.
Stattdessen können wir beobachten und bitten.
Wir können beobachten wie unsere Mitmenschen und wir uns fühlen.
Wir können empathisch zuhören und versuchen, die dahinterliegenden Bedürfnisse zu erfahren.
Schließlich können wir konkrete und in der Gegenwart erfüllbare Bitten formulieren,
– und mit einem „Nein“ lernen umzugehen, ohne dass es uns zerreißt.
Genau da liegt der Unterschied zwischen Bitte und Forderung, beim akzeptierten „Nein“.
All das können wir, wenn wir es wollen.
Das macht die Gewaltfreie Kommunikation gewaltfrei:
Der gewaltvolle Zwang in seinen geistigen wie körperlichen Facetten,
wird ersetzt durch den gewaltfreien „freien Willen“.
Denn eines „könnten“ wir uns vergegenwärtigen, wenn wir es „wollten“:
Die Entfremdung des Menschen beginnt schon bei seiner Sprache.

 

Der Schatten vor uns (Jonas Rülke)

Der Zeigefinger steht hoch am Firmament.
Sein gewaltiger Schatten hüllt uns in Dunkelheit
und wir erschaudern vor seinem Antlitz.
Er weißt beständig den Weg,
sagt uns, was zu tun sei
und warnt uns eindringlich vor dem Bösen.
Denn verfielen wir in dessen Fänge,
käme das gar unsrem Untergang gleich!
Das Böse ist finster grau und abscheulich,
so, wie wir niemals sein könnten. Niemals.
Mit schillerndem Widerhallt erklingt dies himmlisch Gebot.
Geformt aus Verachtung und dem Hass für Andersartigkeit.
Alter Römer Wort leitet diese Schritte ganz
und führt so immer weiter an den Rand.
Mephistos Reich erscheint am Horizont.

Aber wie verdammt können wir die Schwachen denn so heilen?!
Die Lieder der Missgunst schmetternd begraben wir uns mit ihnen samt.
Ein Leiden gilt es eigentlich zu lindern
unter der Leitung des Arztes Fürsorge.
Durch Aufmerksamkeit schenken wir ein Pflaster,
welches den Anfang bildet,
die Wunde mit vollstem Respekt zu verschließen.
Auf das man in Brüderlichkeit von dannen ziehe.

Nach dieser erleuchtenden Kur verändert sich das Bild.
Ansichten mögen zu Mitempfinden, Teil haben zerfließen.
Und das Böse liegt schon längst in Vergessenheit.
So reicht der Finger auch nicht mehr gen Himmel,
sondern trägt nun lieber einen Ring.
Was einst so schauerlich gar wirkte, mag sogar als Freund erscheinen,
oder ruhig die Entfernung zieren.
Meine Sorge ist erloschen
und die Last in Lust verkehrt.

 

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