Wir erhielten die Möglichkeit, Thomas Darchinger, Initiator der Lesung „Das andere Leben“, per E-Mail Fragen zu stellen, wobei wir sehr lesenswerte Antworten erhielten. Hier für euch nachzulesen.
Wie ist die Idee zur Initiative „Das andere Leben“ entstanden und wie wurde sie umgesetzt?
Mir war schnell klar, als ich die Autobiografie von Solly in den Händen hielt, dass seine Geschichte Euch Jugendliche sehr, sehr gut ansprechen kann. Weil er damals selbst Jugendlicher war, als er das alles erleben musste und deswegen Schülerinnen und Schüler in seinem Alter sich leichter mit ihm identifizieren können bzw. mit einem Opfer einer Diktatur. Ich denke, über seine Erlebnisberichte wird klar, dass eine Diktatur kein Ziel für uns sein kann. Für niemanden.
Die künstlerische Umsetzung ist so, dass ich Wolfgang (Lackerschmid) damals gebeten habe, parallel zum Gesprochenen auf seinem Vibraphon einen Score zu spielen, ähnlich wie bei einem Film die Filmmusik. Ich arbeite schon seit langem auf diese Art mit Musikern und er ist ein grandioser Vibraphonist und Komponist. Und so haben wir das erarbeitet.
Unterscheidet sich „Das andere Leben“ in besonderen Punkten von anderen schauspielerischen bzw. musikalischen Darbietungen Ihrer bisherigen Karriere?
Ich denke, es ist immer für mich wichtig, dass ich mich in meine Rollen voll reinwerfe. Ob das jetzt in einer Komödie ist oder einem Thriller, einem Krimi, einem Drama. So gesehen gibt es keinen Unterschied.
In diesem Fall ist es jedenfalls so, dass unser Hauptpublikum jugendlich ist. Das ist was anderes, als das Fernseh- oder Theaterpublikum, das in der Regel deutlich älter ist. Wir haben immerhin schon circa 75000 Jugendliche damit erreicht. Und ich finde, das ist etwas ganz Besonderes. Jugendliche reagieren auch ganz anders als Erwachsene auf eine Lesung. Im Grunde genommen ist es für sie eigentlich schwieriger, in der großen Gruppe ihrer Mitschüler und Mitschülerinnen, emotional einzusteigen, sich die Blöße zu geben, sichtbar mitzufühlen. Mich reizt diese Herausforderung, es trotzdem zu schaffen, Euch zu berühren und so zum Nachdenken zu bringen über diese sehr spezielle Situation.
Stehen Sie im Kontakt zu Solly Ganor?
Ja klar. Wir skypen ab und zu. Er ist ja inzwischen sehr alt. Solly ist ein Mann der Versöhnung. Das ist sehr erstaunlich und ein wunderbares Zeichen für uns alle.
Was zeigt Ihre bisherige Erfahrung bezüglich der Wirkung Ihrer Lesung auf die Schüler?
War Ihr Vorhaben, demokratisches Bewusstsein bei ihnen zu fördern, bis her erfolgreich?
Wir machen sehr, sehr positive Erfahrungen. Das sehe ich an den vielen Rückmeldungen, auch später noch, per E-Mail.
Ich denke, Ihr Jugendlichen wisst, dass es auf euch ankommen wird. Dass Zukunft nur stattfindet, wenn man sie selbst mitgestaltet. Diesen Gedanken versuchen wir zu präzisieren und zu unterstützen.
Glauben Sie, es wird an Schulen über die nationalsozialistische Diktatur, Rechtsextremismus im Allgemeinen, die Notwendigkeit der Demokratie und generell Politik aufgeklärt?
Das kann ich nicht so pauschal beurteilen. Die Bundesländer handhaben das unterschiedlich, die einzelnen Schulformen auch. Ich persönlich glaube, wir dürfen das Thema auch nicht auf Rechtsextremismus reduzieren. Es geht um die Frage, wie man miteinander leben möchte, in einer verbundenen Welt. In einer Welt, die durchaus auch ihre Schattenseiten hat. Bin ich bereit, mich auf diese Herausforderungen einzulassen? Bin ich neugierig genug, um mich dann auch da einzumischen, wo es notwendig ist? Die Demokratie ist eine Konstruktion, die es theoretisch allen ermöglicht, mitzugestalten. Ich sage theoretisch, weil wir nicht in einer perfekten Welt leben. Es gibt immer Leute, die da etwas dagegen haben. Deswegen ist es so wichtig, dass wir die Demokratie nicht nur konsumieren. Sowas kann eine Schule nur sehr bedingt vermitteln. Mindestens muss sie es selbst vorleben. Vieles muss auch durch das private Umfeld kommen.
Ich bin sehr dafür, dass man sich engagiert. Einfach schon, weil es glücklicher macht, zu geben, als zu nehmen.
Halten Sie unsere Demokratie für noch ausbaufähig und wenn ja, wo konkret?
Unbedingt! Ich bin der festen Überzeugung, wir können die Demokratie nur verteidigen, wenn wir sie verbessern. Stillstand ist Rückschritt und das große Tor zum Ende der Demokratie. Wir sind meilenweit davon entfernt, dass wir uns ausruhen dürften, weil eh alles so super läuft. Vielleicht war das auch der große Fehler nach dem Mauerfall, dass man gemeint hat, so, jetzt wird alles gut, jetzt lassen wir es mal laufen, weil jetzt kann nicht mehr viel passieren.
Unser System mag das Beste sein, aber es ist nichts, wenn es nicht mit Leben gefüllt wird und es wird verschwinden, wenn wir nicht begreifen, dass wir noch viel zu tun haben, um ein wirklich gutes System zu haben. Ich finde, das Beste ist in diesem Fall noch lange nicht gut genug.
Sehen Sie unsere Demokratie in Gefahr, wenn ja wo konkret?
Sie ist natürlich allein schon dadurch in Gefahr, dass wir – wie ich schon gesagt habe – eingeschlafen waren. Wir haben es zugelassen, dass viele unserer Werte nur noch Phrasen sind. Wenn ich mir allein anschaue, wie sich in den letzten Jahren die Medienlandschaft entwickelt hat, wie sich die Parteien entwickelt haben, aber auch wie sich unsere Bürokratie und Rechtsauffassung entwickelt hat. Da ist viel Lust auf Selbstzerstörung dabei. Das kann niemandem gefallen. Da hat sich die Demokratie selbst sehr angreifbar gemacht, weil sie das einfach schlecht gestaltet hat.
Das hat den antidemokratischen Kräften natürlich auch viel Wind in die Segel geblasen.
Wenn es etwas Gutes hat, dass die Rechten so stark geworden sind, dann ganz sicher, dass wir aufgewacht sind und uns wieder besinnen, worum es eigentlich geht.
Ich persönlich glaube daran, dass wir eine Chance haben, eine bessere Gesellschaft zu werden.
Was halten Sie vom Sozialismus?
Ich bin kein Freund von Ismus. Was ich schon finde ist, dass die jahrelang gepredigte Idee vom alles zum Guten regulierenden Kapitalismus ganz offensichtlich gescheitert ist. Der reine Kapitalismus ist total asozial und unmoralisch. Wir brauchen ganz offensichtlich doch einen sehr handlungsfähigen Staat. Wir brauchen dann natürlich auch Politiker, die bereit und in der Lage sind, Visionen für unsere Zukunft zu entwickeln und Weichen dafür zu stellen. Eine Zukunft, die lebenswert ist, menschlich, im Miteinander, die eine vernünftige Balance findet, mit unseren Ressourcen umzugehen. Ich würde mir eine Welt wünschen, in der auch Großkonzerne nicht einfach tun können was sie wollen, egal wie katastrophal die Konsequenzen für uns alle sind.
Wird Ihrer Meinung nach in Deutschland genug gegen demokratiefeindliche, rechtsextremistische Parteien, Organisationen und Hetzen unternommen?
Wir tun sicher sehr gut daran, ohne Naivität und in aller Klarheit unsere Gesellschaft zu verbessern und dann denke ich, werden demokratiefeindliche Kräfte und Hass von alleine nachlassen.
Klare Kante muss der Staat immer denen gegenüber zeigen, die unsere Werte mit Füßen treten. In allen Bereichen. Da gibt es sicher Nachholbedarf.
Aber wie gesagt: Wir müssen dazu auch ganz eindeutig an unserer Überzeugung für die Demokratie arbeiten.
Ich würde mich gerne mit ALLEN an einen Tisch setzen und schonungslos alle Themen ansprechen und zusehen, dass wir die Dinge verbessern können.
Ohne Dialog haben wir keine Chance. Dialog funktioniert aber – und das muss man da auch ganz klar sagen – nur mit Leuten, die ein Interesse daran haben, dass wir wirklich weiterkommen. Leute, die nur lügen und gezielt alles blockieren, was mit echter Auseinandersetzung mit den Themen zu tun hat, dienen niemanden, außer sich selbst. Solche Leute sollte man nicht unbedingt an den Tisch lassen. Häme und Desinformation haben im Dialog nichts verloren.
Deswegen: Rechts, Links, Mitte könnte alles mit am Tisch sitzen, wenn jeder sich daran halten würde, dass es um die Wahrheit geht. Wen die Wahrheit nicht interessiert, sollte lieber andere Leute reden lassen und sich selbst zurücknehmen. Das ist das Kriterium, auf das man sich einigen muss. Wer lügt, darf nicht mitreden. Alle anderen schon.
Und das ist ein schwieriges Feld, weil oft die größten Lügner behaupten, sie würden die Wahrheit verteidigen. Wir sollten uns nichts vormachen lassen. Wir sollten mutig und offen in die Zukunft gehen. Miteinander. Häme und Lügen sind feige. Hass ist feige. Hetze ist feige. Wir brauchen aber Mut.
Elisa Pechmann, Clara Liegau