Mit diesen 4 Worten endet die Theatervorstellung des Johann-Walter-Gymnasiums von nahezu 4 Stunden. Es ist eine Reise über 700 Jahre vom 16Jh. bis in die Zukunft. Ein Drama in drei Akten. Im Fokus der Betrachtungen steht immer das System, die Gesellschaft, die politische Macht und die Menschen die in ihr leben. Dieses Theaterstück „system fatal“ ist von 4 Autorinnen geschrieben worden, deren Zusammenführung aus den Arbeiten von Henriette Schubert und Nina Kurand (3.Akt) sowie erweitert von Maren Bolduan und Tabea Wenselau (1+2.Akt) zu einer aus meiner Sicht gelungen Symbiose von sehr talentierten Schülerinnen entstanden ist. Ihnen gebührt die größtmögliche Anerkennung in unserer Gesellschaft. Ich begleite die kreative Arbeit des Johann-Walter-Gymnasiums seit einigen Jahren mit meinen Rezensionen und ich erlebe jedes Mal ein außergewöhnliches Kunsterlebnis. Ich ändere meinen Lieblingssatz.“ Kultur lebt nur da weiter, wo die Jugend sie mitgestaltet“. Hinzufügen muss man an dieser Stelle die musizierenden Kräfte die von einer Maestra mit 25 eigenen Kompositionen geleitet wird, um dem Stück eine geniale Untermalung zu verleihen.
Im 1.Akt begegnen wir dem historisch belegten Kurfürsten Friedrich dem Weisen – Sächsischer Kurfürst von 1486-1525 – und Claus Narr, namentlich der Narr des Kurfürsten. Dieser erscheint uns als redegewandter und listiger Zeitgenosse (nicht umsonst wird er historisch als der 2. Till Eulenspeigel angesehen). Der Kurfürst verliebt sich in eine hübsche Bauersmagd, Anna, obwohl er genau weiß, dass die Ständeordnung der Gesellschaft eine derartige Liebe nicht billigt. Claus Narr erläutert uns dieses System: 1. Stand=Klerus, 2.Stand=Adel und 3. Stand=Bürger und das die Liebe des Adels nur auf gleicher Ebene möglich ist und somit einem Kurfürst nicht erlaubt ist zu lieben wen er will. Auch Anna erkennt in einem Gespräch mit ihrer Freundin, das sie diese Liebe nicht erleben kann und darf. Und dann singt der Chor zum ersten Mal dieses Lied „Als Du gingst“, das uns in jedem Akt wieder begegnen wird.
Der 2.Akt führt uns in das Jahr 1943 wo am 2.Febr. die deutsche 6. Armee in Stalingrad vernichtend geschlagen wird. Und da steht der berüchtigte Rhetoriker Goebbels der im Namen Hitlers die Menschen immer noch vom 1000j. Reich überzeugen will. Auch in der Schule und im Bund Deutscher Mädel redet man von der Weltherrschaft und betet beim Fahnenappell für den Führer. Aber nicht alle glauben mehr an diese falschen Versprechungen. Luna gerät mit ihrer Familie in Streit, sie zweifelt an diesem System und fürchtet, dass die Kinder durch diesen Krieg keine Zukunft haben werden. Sie lernt in einem Tanzlokal auch Gleichgesinnte kennen und es wird in weißen Kleidern Charleston getanzt. So begegnen wir der „Weißen Rose“, eine meist aus Studenten bestehenden Widerstandsgruppe gegen die Diktatur des Nationalsozialismus, deren Leitmotiv die humanitären Werte sind. Sie verteilen Flugblätter, werden verraten und getötet. Ein Chor singt ein jüdisches Lied und zeigt uns, dass auch Luna und Leander, ein Jude, keine Chance haben, ihre Liebe zu erleben. Der zweite Akt endet wie der erste mit diesem Lied „Als Du gingst“.
Eine Fiktion ist der 3.Akt, die uns von heute in das Jahr 2121 führt, klassifiziert als der Ausbruch des dritten Weltfriedens. Wir hören die Präsidentin mit dem Anfang ihrer Rede.“Du willst Frieden? Dann lass dich nicht länger von deinen trügerischen Gefühlen lenken. Die Menschen haben sich für eine Welt ohne Emotionen entschieden. Denn diese machen dich unkontrollierbar, unberechenbar und damit unbrauchbar für das System. Von Emotionen geleitet, triffst du Entscheidungen, die du später bereust. Keine Angst wird geduldet, kein Neid, keine Wut und kein Hass, denn daraus, so sagt man, resultierten die Kriege der Vergangenheit. Wir wollen keinen Ausbruch des Dritten Weltkrieges. Nein, wir wollen den Ausbruch des Ersten Weltfriedens. Und das willst du auch, oder? — Und dann schreit jemand „das ist eine Lüge“ und die Präsidentin sagt,“ entfernt den Systemfehler. Es gibt Gesellschaftsklassen, in die die Jugendlichen mit 16 Jahren durch einen IQ-Test eingeordnet werden. Der Lehrer in der Schule macht es deutlich. Wir sind das System. Das System ist für uns und das ist unsere Pflicht. Keine Fragen, keine Zweifel, sonst gefährdet ihr euch. Wir erleben Luna, die nach dem Test ihre Familie verlassen muss, um in eine andere Gesellschaft aufzusteigen. Die Liebe zu ihrem kleinen kranken Bruder macht diesen Weg für sie schwer, aber Liebe ist in der Elite nicht erwünscht, keine Emotionen, keine Gefühle und sie erfährt von Freunden, das Mitschüler einfach verschwanden, weggebracht von den Wächtern der Präsidentin. Auch Luna, die laut nachdenkt, wird verhaftet und landet aber bei einer Gruppe, die sich Garde nennt. Die Garde ist eine Untergrundbewegung, deren Anführer Leander ist (was keiner weiß er ist auch der Sohn der Präsidentin). Sie wollen das System neu gestalten, die Macht der Elite brechen, sie wollen nicht mehr manipuliert und wie Marionetten benutzt werden. Sie wollen ihre Freiheit, sie stehen für ihre Werte wie Freundschaft, Glaubwürdigkeit und Menschlichkeit, sie brauchen Hoffnung, Träume und Zukunft. Darüber sollten wir alle mal in Ruhe nachdenken!!! All das endet in einem Showdown zwischen der Garde und den Wächtern der Präsidentin. Leander klagt seine Mutter an, sie sei falsch wie das System. Letztendlich, so glaube ich, wird Leander von seiner Liebe zu Luna und der angeborenen Liebe zu seiner Mutter so innerlich zerrissen, dass er Suizid begeht. Und wieder dieses Lied: „Als Du gingst…Das was Du bist wird immer bleiben…Du bleibst in mir und ich bleib in Dir…bleiben wir ewig…“ mein Highlight.
Danke zu sagen ist eine Gabe für ein Theaterensemble von fast 50 Laien incl. der Inklusion von lieben Menschen der Lebenshilfe, einfach großartig. Die Autorinnen habe ich schon für ihr außergewöhnliches Engagement gelobt. Ina Bär, die Maestra, und ihre Musiker/-innen mit der ersten Bühnenerfahrung, immer konzentriert und bereit und das vier Stunden, toll. Die für das Bühnenbild meist weiblichen Akteure haben einen TopJob gemacht. Tanzeinlagen aus der Renaissance, der Charleston bis zur Moderne, sehr begabt. Der Gesang hat mich mit vielen Facetten emotional berührt, vor allem dieses Lied, immer am Ende jeden Aktes. Aber all dies braucht eine künstlerisch inspirierende Motivarin. Danke Frau Dr. Gabriele Hönicke!
Manfred Boes, 26.6.2022